Zeugnissprache - Bewertungen

Arbeitszeugnisse schreiben und entschlüsseln

Was viele nicht wissen oder nicht wissen wollen: Grundlage für die Leistungsbewertung sind innerbetriebliche Beurteilungsbögen. Anhand einer Skala von "sehr gut" bis "mangelhaft" werden die einzelnen Leistungskriterien (von "Arbeitsbereitschaft" bis zur "Dankesformel") bewertet und auf einem separaten Blatt die einzelnen Aufgabengebiete beschrieben und/oder alle Stellen bei Versetzungen dargestellt. Diese Informationen sind die wichtigste Grundlage bei der Erstellung des Arbeitszeugnisses.

Der Ton macht die Musik

Was wie eine Quadratur des Kreises anmutet: Formulierungen zu finden, die zugleich wohlwollend und den im Beurteilungsbogen erteilten Noten entsprechen, also wahr sein sollen, verwirklicht sich in einer Sprache, der oft auch auf den zweiten Blick nichts Negatives anzuhaften scheint:

"Er hatte Gelegenheit, seine Aufgaben stets zu unserer voll(st)en Zufriedenheit zu erfüllen." Diese zusammenfassende Leistungsbewertung eines Arbeitnehmers entspricht der Note 5 = Mangelhaft - denn der Arbeitnehmer hat die Aufgaben eben nicht zur voll(st)en Zufriedenheit erfüllt.

Aber nicht nur Formulierungen, auch die Nichterwähnung von wichtigen bzw. geforderten Eigenschaften prägen den Gesamteindruck eines Zeugnisses entscheidend. So darf sich eine Kassiererin/ein Kassierer nicht wundern, nicht mehr an der Kasse eingesetzt zu werden, wenn in seinem/ihrem Zeugnis nichts über Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit gesagt wird.

Man muss ihn zu hören verstehen

Für Zeugnisse wie für die meisten Texte gilt: Sie sind mehrfach (nicht: beliebig) interpretierbar. Denn: Keine Zeugniskomponente ist neutral. Von passivisch formulierter Einleitung ("wurde beschäftigt") über eine in sich widersprüchliche Reihenfolge in der Beschreibung der Aufgaben und Tätigkeitsfelder bis zu versteckter Kritik in den Zukunfswünschen ("wir wünschen alles Gute, insbesondere auch Erfolg") und der Unterschrift durch einen Gleichgestellten - nahezu jedes Faktum bei der Formulierung und der Interpretation kann für Bewertungen dienen.

Zweifelsfälle

Ein Beispiel: Im Allgemeinen wird die Formulierung "in seinem Verhalten war er stets ein Vorbild" übersetzt mit "sonst war er eine Niete." Diese eindeutig negative Auslegung trifft aber nur dann zu, wenn die Bewertung des Sozialverhaltens im Wesentlichen nur aus dieser Formel besteht.

Eingebettet in eine gute bis sehr gute Leistungsbewertung, mit Bedauerns- und Dankesformel und besten Zukunftswünschen ist sie als Ergänzung eine gute bis sehr gute Verhaltensbewertung

Zwischenstufen

Schließlich noch ein Hinweis zu Zwischenstufen/Mischformen. So wie es eindeutige Formulierungen der Leistungsbewertung gibt ("stets zur vollsten Zufriedenheit" = sehr gut; "stets zur vollen Zufriedenheit" = gut; "zur vollen Zufriedenheit" = befriedigend), existieren darüber hinaus auch Formulierungen, die Zwischenstufen darstellen. In unserem Beispiel wäre dies z. B. "Zur vollsten Zufriedenheit":

Ergibt sich durch andere (eindeutige) Formulierungen der Eindruck einer eher guten bis sehr guten Beurteilung, bedeutet sie die Note 1-2; bei eher befriedigenden Beurteilungen bedeutet sie die Note 2-3.

Um das Wörterverzeichnis nicht zu unübersichtlich werden zu lassen, aber auch um Ihnen die Navigation zu erleichtern, haben wir hier nur eindeutige Formulierungen aufgenommen. Sollte Ihnen bei der Einschätzung Ihres Zeugnisses irgend eine Ungereimtheit auffallen, ziehen Sie unbedingt professionelle Hilfe zu Rate (Betriebsrat, Sozialberatung u.ä.). Erweisen sich Ihre Zweifel als berechtigt, sollten Sie Ihr Zeugnis anfechten.

Quelle: JOBworld